Die Roma-Unruhen in der Slowakei zeigen ein tief wurzelndes Problem
Von Martin Müller-Mertens
Seit vor zehn Tagen im Osten der Slowakei ein Supermarkt geplündert wurde, sind sowohl sie sozialen, wie auch die ethnischen Spannungen in der Slowakei Thema der deutschen Presse geworden. Erste Zwischenfälle soll es bereits vor zwei Wochen nahe der ukrainischen Grenze gegeben haben, doch seit dem 17. Februar ist die Lage eskaliert. Über Tage zogen sich vielerorts Plünderungen durch Roma und Straßenschlachten mit der Polizei in diversen Orten hin, vor allem der Ostslowakei. Inzwischen scheinen Polizei und offenbar auch Armee die Situation in der Griff bekommen zu haben. Die Ursache für die Ausbrüche haben sie jedoch nicht beseitigt. Denn das Verhältnis ist durch mehr angespannt, als die gekürzte Sozialhilfe.
Am Donnerstag demonstrierten noch einmal Tausende Roma gegen ihre soziale Lage in der Slowakei. Anlaß war eine weitere radikale Verschärfung des neoliberalen Kurses der Regierung von Mikulas Dzurinda. Zum 1. März wird die ohnehin knapp bemessene, aber zumindest zum Überleben ausreichende, Sozialhilfe auf rund 1500 Kronen halbiert. Dies wirkt sich um so härter aus, als der auch von Sozialhilfe-Empfgängern zu entrichtende Mehrwertsteuersatz zum Jahresbeginn auf 19 Prozent angehoben wurde. Die slowakische Variante der auch dort durchgeführten Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialämtern. Die Begründung der Regierung: Sozialhilfeempfänger sollten sich vermehrt um Arbeit bemühen. Denn dann kommen sie in den Genuß des vergleichsweise hoch angesiedelten Mindestlohnes.
Gerade diese Forderung ist es jedoch, die die Romavertreter zu tiefst erregt. „Wir fordern Arbeit, keine Sozialhilfe“ war denn auch eine der häufig skandierten Losungen bei den Protesten. Auch der Vorsitzende des slowakischen Roma-Rates, Ladislav Fizik, kündigte an, von der Regierung die Bereitstellung von Stellen einzufordern. Denn diese sind für Roma kaum zu haben. Die Arbeitslosigkeit liegt unter ihnen bei über 90 Prozent, ganze Dörfer leben unmittelbar von der Sozialhilfe, Familien hausen unter unbeschreiblichen Bedingungen.
Die Gründe dafür sind vielschichtig. Unbestritten sind tief sitzende rassistische Vorurteile, bei denen sich Slowaken und Tschechen in nichts nachstehen. Unvergessen sind die Schiebereien nach der Trennung beider Länder, als Prag und Bratislava Hunderttausende Roma als Staatsbürger des jeweils anderen Landes bezeichneten. Da die Roma in der CSFR oftmals nomadisch lebten, war die Staatsbürgerschaftsfrage tatsächlich teilweise ungeklärt. Auch heute noch haben Roma es schlicht wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit denkbar schwer, überhaupt für eine Anstellung in Betracht zu kommen.
Dies ändert allerdings nichts an der Neigung der meisten Roma, sich einer Integration in die Gesellschaft zu verweigern. Schon vor der Wende, als sich Prag mit zweifelhaften Methoden um Zwangsansiedlungen bemühte, blieben die Roma ihrem Lebensstil treu. Und dies mit teilweise fatalen Auswirkungen. Da es für Roma-Männer als unehrenhaft gilt, wenn ihre Kinder sie im Leben überbieten, verhindern viele der ungelernten Väter eine Ausbildung ihres Nachwuchses. Das Problem wird so von Generation zu Generation weitergegeben. Zu beobachten ist diese Tendenz auch in anderen Ländern Mittel- und Südeuropas – etwa in Rumänien und Bulgarien, wo archaische Brautmärkte bis heute von den Behörden trotz klarer Gesetzeslage nicht unterbunden werden können.
Nicht förderlich für eine Verbesserung der Lage ist auch die Tatsache, daß die Roma-Vertretungen hoffnungslos zerstritten sind. Das slowakische Roma-Parlament (SRP) und der Roma-Rat können sich nicht ausstehen. Der SRP-Chef Fratisek Gulas warf dem Rats-Vorsitzenden Fizik die Schuld an den Plünderungen und Ausschreitungen vor und distanzierte sich von den Vorgängen. Teilweise zumindest scheint Fizik tatsächlich Angst vor der eigenen Courage bekommen zu haben. So rief er am Mittwochabend zum Abbruch der Proteste auf, forderte dann zumindest ihre absolute Friedfärtigkeit. Mit Erfolg: am Donnerstag kam es zu keinen Zusammenstößen.
Die slowakische Regierung zeigte sich über die Unruhen, bei denen es etwa in Rimavska Sobota und Kaschau, vor allem aber in Trebisov zu Massenplünderungen kam, erschüttert. Innenminister Palo reiste am Dienstag in das Unruhegebiet, Präsident Schuster, lange Zeit Bürgermeister von Kaschau, zeigte sich besorgt über den sozialen Frieden. Auch die national-oppositionelle Smer warnte vor schweren sozialen Unruhen im Land. Offiziell macht die Regierung jedoch Wucherer für die Erhebungen verantwortlich. Bei näherem Hinsehen eine nicht unbedingt falsche Einschätzung. Tatsächlich sind viele Roma durch ihre lange Armut tief bei Wucherern verschuldet. Deren horrende Forderungen bedienten sie mit der Sozialhilfe, um wieder Kreditwürdig zu sein. Eine enorme Schuldenfalle, die mit der Halbierung der Gelder nun zuschnappt. Ob die Lage eskaliert wäre, wenn die Regierung gleichzeitig gegen das kriminelle Wucher-Unwesen vorgegangen und die Familien umfassend entschuldet hätte, sei dahingestellt.
Nun aber schwimmt das Kind endgültig im Brunnen. Die Gefängnisse von Kaschau sind von Plünderern derart überfüllt, daß neue Gefangene auf andere Haftanstalten der Region verteilt werden müssen. Das Fernsehen, wie üblich auf effektvolle Bilder ausgerichtet, strahlte Bilder jugendlicher Roma aus, die „Wir wollen stehlen“ skandierten und damit das Vorurteil der Zuschauer bestens bedienten. Der slowakische Geheimdienst SIS beeilte sich zu betonen, er habe schon Anfang Februar vor dem Ausbrechen von Unruhen gewarnt.
So kommt eines zum anderen. Eine neoliberale Regierung, eine allgemein unzufriedene Bevölkerung, eine seit Jahrzehnten für jeder Eigeninitiative zu lethargisch gewordene Minderheit. Und als ob dies nicht genügen würde, ein Parlament unmittelbar vor seiner Auflösung in einem Referendum. Genügend sozialer und ethnischer Sprengstoff für eine Explosion mitten in Europa.